Das Lager
Fred Wander
Aufbau des Lagers
Als die SS am 15. Juli 1937 die ersten Häftlinge auf den Ettersberg bei Weimar bringt, gibt es dort noch kein Konzentrationslager. Die Häftlinge müssen es selber errichten. Bis 1945 lässt die SS das Lager permanent ausbauen und vergrößern. Die verschiedenen Bauphasen werden akribisch fotografiert und dokumentiert.
Im Konzentrationslager ist es verboten, zu fotografieren. Es gilt als militärisches Objekt und überall sind deutlich sichtbar Verbotsschilder aufgestellt. Nur der Lagerkommandant kann Personen beauftragen, Fotos zu machen. Schon bald übernehmen die Mitarbeiter der Fotoabteilung des Erkennungsdienstes - zunächst SS-Angehörige, später vorwiegend Häftlinge - diese Aufgabe. Nur die ersten Fotos der Aufbauphase des Lagers stammen von der Kriminalpolizei Weimar, da die Abteilung zu diesem Zeitpunkt noch nicht existiert.
Die Beamten erstellen eine gründliche Baudokumentation, vermerken einzelne Arbeitsschritte sowie den genauen Ort und Zeitpunkt der Aufnahme. Die mehr als 50 Fotos sollen die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeiten während der ersten vier Monate belegen. Sie zeigen die Rodung des Waldes, den Straßenbau, das Entstehen der ersten Baracke und des Lagertors. Die arbeitenden Häftlinge geraten fast wie zufällig ins Bild. Am 15. Juli 1937 entstehen drei Fotos, die den ersten Häftlingstransport bei seiner Ankunft im KZ Buchenwald zeigen. Die Brutalität der bewaffneten Wachen ist auf den Bildern nicht sichtbar. Das Lager soll geordnet und gut organisiert wirken.
Ähnlich schwere Arbeit verrichten die Häftlinge von April bis Juni 1943 beim Bau der Bahnlinie von Weimar nach Buchenwald. In diesen drei Monaten müssen die Häftlinge in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten unter schlechtesten Bedingungen arbeiten. Auf den Bildern der Fotoabteilung erscheinen sie jedoch wie normale Facharbeiter mit professionellen Geräten. Nichts wäre weiter von der Realität entfernt: Zwar findet am 21. Juni eine Eröffnungsfeier der Bahnlinie statt, doch die Fahrt anlässlich der Einweihung ist für sechs Monate die einzige, da die Bahnstrecke noch lange nicht fertig ist.
Musterlager Buchenwald
Hermann Pister übernimmt 1943 das Konzentrationslager als Kommandant. Seine Vorgesetzten loben ihn dafür, „Buchenwald zu einem Musterlager gemacht“ zu haben. Das Fotoalbum wird Ende 1943 angelegt.
Das Album bildet die Vorstellung des Kommandanten von einem funktionierenden Musterlager ab. Denkbar ist, dass Pister mithilfe dieses Albums den Erfolg seiner Arbeit gegenüber Außenstehenden und Vorgesetzten beweisen will.
Zwei Drittel des Albums – es enthält insgesamt 235 Fotos – sind nicht dem Lager selbst, sondern dem SS-Standort gewidmet. Hier wird es zum Bilderbuch des Perfektionismus und des technologischen Fortschritts: repräsentative Empfangs- und Diensträume des Kommandanten, Heizwerk, Rüstungsfabrik und Truppengaragen. Bemerkenswert ist der mächtige, überhöht wirkende Befehlsturm inmitten der Truppengaragen der Waffen-SS. Aufgrund seiner Höhe ist er von Weimar aus sichtbar.
Das Häftlingslager ist auf den Fotos menschenleer, es wird als modern, geordnet und hygienisch dargestellt. Erst das gesäuberte Krematorium mit einer Schausammlung menschlicher Präparate lässt etwas von dem eigentlichen Zweck des Lagers erahnen. Weite Teile des KZ bleiben unberücksichtigt. Vor allem das bereits seit 1943 existierende und durch Massentransporte akut überfüllte Kleine Lager kommt auf keinem Bild vor. In dem Quarantäne- und Durchgangslager müssen Häftlinge in fensterlosen Pferdestallbaracken und im Winter 1944/45 sogar in Zelten dahinvegetieren. Das Leben und Sterben der Häftlinge spielt im Album „Buchenwald Jahresende 1943“ keine Rolle.
Die Fotos werden im Auftrag der SS von Häftlingen der Fotoabteilung gemacht; das Album wird vom Buchbinderkommando gestaltet. Regelrecht absurd wirken die Postkarten und Erinnerungsbilder vom Zoo Buchenwald, die von Besuchern und Soldaten verschickt werden: niedliche Bären balgen sich unter Bäumen.
Der Luftangriff 1944 - Anfang vom Ende
Am Mittag des 24. August 1944 greift die 1. Bomberdivision der 8. US Luftflotte die neben dem Lager liegenden Rüstungswerke an. Durch zielgenaue Bombardierung werden weite Teile des Gustloff-Werkes II und der SS-Einrichtungen zerstört, während das Häftlingslager kaum Schäden verzeichnet. Damit wird die letzte Phase der Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald eingeleitet. Die alliierten Luftbilder, die zur Vor- und Nachbereitung des Angriffs gemacht werden, zeigen das KZ-Hauptlager in seiner größten Ausdehnung.
Seit dem Frühjahr 1943 müssen bis zu 3.500 Häftlinge im Wilhelm-Gustloff-Werk II Gewehre und später auch Steuerungselemente der „V2“-Rakete herstellen. Die Zerstörung dieser Waffenfabrik ist das Ziel der alliierten Bomber. Um die Produktionshallen zu kartieren, überfliegen Maschinen der alliierten Luftaufklärung mehrmals das Lager, das im Sommer 1944 mit 31.000 Häftlingen an der Grenze seiner Aufnahmefähigkeit ist. Zum ersten Mal macht sich die amerikanische Militärführung ein genaues Bild von dem Areal, ohne dass die SS dies verhindern kann. Während am 24. August Rauchwolken einen direkten Blick auf das Lager unmöglich machen, kann man bereits im Verlauf des 25. August die enormen Gebäudeschäden erkennen. Die Bilder dienen der amerikanischen Luftaufklärung zur präzisen Auswertung der Schäden und Steigerung der Angriffseffizienz.
Beim Luftangriff der 149 Bomber am 24. August 1944 verhindert die SS, dass die im Rüstungswerk arbeitenden Häftlinge das Fabrikgelände verlassen können. 2.000 von ihnen werden verletzt, 388 sterben. Die Strom- und Wasserversorgung bricht zusammen, selbst der Appell findet einige Tage lang nicht statt. Die SS-Führung ist verunsichert und muss sich neu organisieren. Im Auftrag der SS dokumentieren Häftlinge der Fotoabteilung wenige Tage nach dem Angriff die zerstörten Fabriken und Gebäude. Vermutlich ergänzen die Fotos den Schadensbericht für vorgesetzte Stellen in Berlin. Sie zeigen das immense Ausmaß der Zerstörung und den Arbeitseinsatz der Häftlinge bei der Trümmerberäumung.